Gespräch mit meinem Vater über zuviel Fernsehen

Ich: Warst du heute schon draußen spazieren?
Mein Vater (hat wie immer sein Hörgerät nicht drin): Hä?
Ich: Ob du heute schon draußen warst? Oder wieder den ganzen Tag drinnen?
Mein Vater: Mmmm…
Ich: Man kann doch nicht immer nur fernsehen.
Mein Vater: gibt  keine Antwort.
Ich: Ich kenne keinen Menschen, der so viel fernsieht wie DU!
Mein Vater (empört): Woher willst Du das wissen. Kennst Du alle Menschen?
Ich: Nein, aber ich kenne niemanden, der so viel Fernsehen guckt, wie DU!
Mein Vater: Es gibt welche, die gucken noch viel mehr.
Ich: Ah ja. Ich kenn keinen.
Mein Vater: Ich schon.
Ich: Wen denn?
Mein Vater: Den von drüben auf der anderen Seite.
Ich: Wen von drüben? Kannst du dem ins Fenster schauen?
Mein Vater: Nein. Aber ich weiß es. Der guckt noch mehr.
Ich: Woher weißt du das denn?
Mein Vater: Weil ich den letztens getroffen habe, als ich zum Arzt ging. Da hat der mich angesprochen.
Ich: Wie der hat dich angesprochen… Wer überhaupt?
Mein Vater: Na der, der im Sommer immer aus dem Fenster hängt. Mit nacktem Oberkörper. Hat mich angesprochen.
Ich: Und worüber habt ihr euch unterhalten?
Mein Vater: Der hat gegrüßt und gesagt, dass er mich immer sieht. Und ob ich schon lang hier wohne. Und da habe ich gesagt, dass ich schon 52 Jahre hier wohne.
Ich: Aha. Und woher weißt du, dass er so viel fernsieht?
Mein Vater: Weil es mir gesagt hat, dass er soviel fernsieht. Der macht schon morgens um sieben den Fernseher an. Und guckt bis in die Puppen. Der leiht sich die besten Filme aus. Einen nach dem anderen. Und guckt dann bis spät nachts. Der hat keine Arbeit. Der hat gesagt, was soll er denn machen außer fernsehen.
Ich: Geb keine Antwort
Mein Vater: Der guckt noch mehr Fernsehen!
Ich: Kann schon sein.
Mein Vater: (zufrieden):  Bei dem wird der Fernseher gar nicht kalt… So. Und Du kennst nicht alle Menschen.


Fotografie: Michael Dressel, Berlin